Erfahrungsbericht

Patient, 39 Jahre alt, erkrankt 2002 (mit 26 Jahren)

 

Es begann im Dezember 2001, ich bemerkte, irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich war immer sehr schnell außer Atem, permanent müde und konnte/musste auch länger, wie bis dato, schlafen.

 

Richtig aufgefallen sind mir diese und dann auch weitere Symptome immer beim Sonntags-Sport mit Freunden in einer Turnhalle. Dort wurde Fußball gespielt, Volleyball oder Zirkel-Training geübt. Ich war immer schneller außer Atem und mein Herz pumpte wie verrückt. Teilweise wurde mir auch schwindelig, so dass ich mich setzen musste. Dies fiel dann auch der Trainerin auf. Sie meinte: „Dass so ein junger Mensch, (ich war damals gerade 26 Jahre alt, also Baujahr 1976) so schnell außer Atem ist, wäre Ihr unheimlich.“

 

An diesen ereignisreichen Sonntag erinnere ich mich nur zu genau...: Nach dem Sport bin ich auch immer in die Gemeinschaftsdusche gegangen. Ein Sportkollege sagte auf einmal beim Duschen: „Wer hat Dich denn verprügelt?“ Ich schaute ihn ziemlich erschrocken an und habe ihn gefragt: „Was ist los, was meinst Du?“ Er antwortete: „Schau Dir mal Deine rechte Wade an. Die ist blau als hätte man Dich mit dem Baseballschläger verdroschen.“ Ein anderer Sportkollege hatte glücklicherweise einen Spiegel dabei und somit konnte ich auch das sehen, was die anderen sahen. Es sah furchtbar aus. Ein Hämatom in der ungefähren Größe einer Handfläche und schillernd in allen möglichen Farben. Es tat mir nichts weh, das machte mich schon ein wenig stutzig. Ich begann zu überlegen: „Wo hast du dich gestoßen oder ähnliches?“ Mir fiel einfach nichts ein, was diesen großen blauen Fleck irgendwie hätte erklären können. Dann fuhr ich nach Hause und machte mir erst einmal keine weiteren Gedanken, war ja Sonntag. Abends aber beim Waschen und Zähneputzen, holte mich die Realität ganz schnell wieder ein. Als ich mich am Hinterkopf kratzte, konnte ich in diesem Moment in meine Achselhöhlen sehen und sah auch dort blaue Flecken. Ich fragte mich nur noch: „Wie kommen die denn da hin? Was ist los mit Dir?“

 

Am darauffolgenden Montag (ich hatte zum Glück Spätschicht), ging ich direkt am Vormittag zu meiner Hausarztpraxis und schilderte meine Symptome. Der Professor meinte nach eingehender Begutachtung der Hämatome, dass eine Blutabnahme unausweichlich sei. Diese machte ich und ging danach ganz normal in die Arbeit. Am Abend rief mich mein Hausarzt in der Firma an und wollte wissen wie es mir geht. „Mir geht es gut“ antwortete ich ihm. Er erklärte mir, dass die Blutwerte sehr schlecht seien und ich Morgen wieder in die Praxis zu seinem Kollegen kommen sollte.

 

Jetzt war ich geschockt. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet.

 

Ich bin bis 22.15 Uhr in der Firma geblieben und am darauffolgenden Dienstag sofort in die Praxis. Der Arzt zeigte mir die Blutwerte und meinte nur, dass es ernst aussehe. Damals verstand ich nicht viel von diesen verschiedenen Werten und wofür sie gut sind. Die Blutwerte waren: HB ~10,5, Leukozyten: ~3, Erythrozyten: ~ 4, Thrombozyten: ~70.000! Der Arzt wollte mich gerne zur genauen Diagnosefindung ins Krankenhaus zum Onkologen überweisen. Eine Knochenmarkentnahme würde wahrscheinlich gemacht werden. Ich fragte ihn, ob er eine Vermutung hätte. Er meinte: „Könnte Leukämie sein oder so ähnlich“. Das hat mich natürlich fast umgehauen. Damit musste ich jetzt klarkommen. Er schrieb mich sofort für 2 Wochen krank und machte für mich, sofort und persönlich, einen Termin im Krankenhaus aus. Dort sollte ich zu weiteren Untersuchungen und der Diagnosefindung von Mo. – Fr. stationär in Behandlung bleiben.

 

Am Montag, den 14.01.2002 wurde ich stationär aufgenommen. Leider auf der Palliativ-Station, da kein anderes Bett mehr frei war. Kein gutes Gefühl.

Das erste Gespräch mit dem Professor fand um 10 Uhr statt und dauerte relativ lange. Er meinte es sei ernst, man dürfe jedoch generell nicht sofort von Leukämie ausgehen, ohne vorher eine Knochenmarkbiopsie gemacht zu haben. Es gäbe noch andere Erkrankungen wie z.B. MDS & AA. Somit standen schon mal drei Vermutungen im Raum.

An diesem Tag wurde dann auch gleich eine Knochenmarkentnahme durchgeführt, leider von einer meiner Meinung nach sehr unerfahrenen Ärztin. Ich war so froh, als diese Punktion endlich vorbei war und ich mich ausruhen durfte.

 

Leider kam am folgenden Tag der nächste Schock. Der Oberarzt teilte mir mit, dass man nicht genügend Knochenmark für die Laboruntersuchung entnommen hatte und man nochmal punktieren müsse. Mir stockte der Atem! Nochmal solche Schmerzen?

Der Oberarzt versprach mir die Punktion selbst durchzuführen und so stimmte ich zu. Danach sah er sich das Knochenmark an. Er schloss Leukämie aus und vermutete MDS oder AA. Krankheiten die in diesem Krankenhaus nicht behandelt werden konnten. Er wollte es trotzdem mit einer Cortison Stoßtherapie versuchen. Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben Cortison nehmen und man hoffte auf Besserung.

 

Aber diese trat nicht ein und so wurde ich in die UK-Köln überwiesen und traf dort auf einen hochmotivierten und zuverlässigen Arzt. Dieser war sehr bemüht, aber auch vorsichtig mit der Diagnosefindung. Er wollte das Knochenmark aus dem Labor des Krankenhauses einfordern. Nur leider war die zweite Knochenmarkprobe der Brustbeinpunktion in dem Labor nicht mehr aufzufinden und somit musste ich wieder punktiert werden. Diese Punktion geschah dann auch kurzfristig und dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Ich hatte verhältnismäßig zu den Punktionen im Krankenhaus wenig Schmerzen. Darum war ich sehr froh als ich anschließend mit meinem Onkel wieder nach Hause fahren konnte.

 

Die Untersuchungstermine in der Klinik wurden immer häufiger. Jedes mal Blutabnahme und Besprechung mit dem Arzt. Man wollte abwarten, ob sich etwas verbessert oder verschlechtert. Zwischenzeitlich stand auch die Diagnose Aplastische Anämie fest. Auch wurde eine Stammzellentypisierung mit meinem Bruder durchgeführt um festzustellen, ob er als Spender für eine mögliche Stammzellentransplantation infrage käme.

Aber die Werte wurden immer schlechter. Besonders die Blutplättchen sanken. Es musste schnell eine Entscheidung getroffen werden.

 

So bekam ich bereits am 19.02.2002 die erste Transfusion mit CMV -Thrombozyten. Leider waren die Transfusionen keine Heilmittel, sondern verhalfen mir nur zu einer kurzzeitigen Verbesserung der Blutwerte. Am Fr. 01.04.2002 hatte ich nur noch ~20.000 Blutplättchen und wurde von meinem Arzt Notaufgenommen.

Ich bekam Blutplättchen und Erythrozyten transfundiert und durfte schnell wieder nach Hause. Die Transfusionen brauchte ich von da an wöchentlich. Die Erkrankung sah man mir aber nicht an. Nur das blasse Gesicht durch die Blutarmut war zu meinem Begleiter geworden.

Jedoch machte mich diese Erkrankung in einer gewissen Art und Weise einsam; u.a. weil ich nicht wirklich krank aussah. Zum Glück war meine damalige Partnerin für mich da.

Endlich traf auch das Ergebnis der Typisierung ein. Mein Bruder und ich sind HLA identisch. Das war für mich wie ein Sechser im Lotto.

 

Dennoch traf die Uniklinik Köln keine voreilige Entscheidung zur Transplantation, sondern bot mir einen Termin zur Zweitmeinung im Stammzellentransplantationszentrum der Uniklinik Essen an.

 

Dieses Angebot nahm ich sehr gerne an. Ich durfte mir die Transplantationsabteilung ansehen. Alles war steril und mir selbst ein wenig unheimlich. Aber alles hatte seinen Grund, wie der Professor mir sehr ehrlich und geduldig erklärte. In dem nachfolgenden Gespräch in seinem Büro, erläuterte er mir genau, welche Behandlungen mir bei der Aplastischen Anämie in meinem noch guten körperlichen Zustand zur Wahl standen. Die Entscheidung lag bei mir.

 

Aber der Professor sagte mir auch ganz ehrlich, was er dachte: „Sie sind jung, Ihr Körper ist noch in einer guten Verfassung. Wenn Sie bei der Transplantation sterben, haben sie keine zweite Chance im Leben. Sollte die ATG-Therapie jedoch fehlschlagen, dann haben sie immer noch die Chance sie zu wiederholen, oder die Stammzellentransplantation mit Ihrem HLA identischen Bruder durchführen zu lassen. Ich rate Ihnen mit 51% zu der ATG Behandlung und mit 49% zu der direkten Transplantation.“

 

Das waren sehr überzeugende Worte. Und somit entschied ich mich für die ATG Behandlung.

 

In der Uniklinik Köln erklärte man mir, dass es zwei Arten von ATG gibt: ATG-Rabbit (Kaninchen) oder ATG-Horse (Pferd). In meinem Fall war ATG-Rabbit die Therapie der Wahl. Sollte diese nicht anschlagen, würde man es mit ATG-Horse nochmals probieren oder mit den Stammzellen meines Bruders.

 

So kam es, dass ich stationär in der Uniklinik Köln aufgenommen wurde. Die ATG-Therapie sollte von Mittwoch bis Sonntag durchgeführt werden. Am Dienstag bekam ich einen ZVK (Zentralen Venenverweilkatheter) in die Halsvene gelegt.

 

Am Montag vor Therapiebeginn erfuhr ich jedoch von meinem zuständigen Arzt, dass das ATG-Rabbit nicht pünktlich bestellt wurde und ich nun ATG-Horse bekommen würde. Das wäre nicht weiter schlimm und ich sollte mir keine Sorgen machen meinte der Arzt. Ich dachte nur noch: „Ok, die werden schon wissen was sie tun...“. Nachdem ich am Mittwoch Erythrozyten und Thrombozyten bekommen hatte, ging es mit der Therapie los. Kurze Zeit später bekam ich einen Allergieschock, worauf mir Fenistil gespritzt wurde und es dann merklich besser wurde. Ich musste mich ständig übergeben und mich mit dem Infusionsständer in der Hand zur Toilette quälen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, das ATG sei in den Knochen angekommen, denn es fühlte sich so an als würden meine Knochen von innen glühen. Meine Haut brannte wie verrückt. Ich konnte nicht liegen oder stehen. Dann kam die Aplasie Phase (Leukozyten unter 1.000) und man bekam nur noch bestimmtes zu essen. Alles wo keine Infektionsgefährdung von ausginge! Besuch sollte ich auch erstmal nicht bekommen. Es war die Hölle, aber ich musste und wollte kämpfen um zu leben.

 

Am Sonntagabend war die Infusionstherapie zu Ende. Ohne die große Hilfe meiner damaligen Lebensgefährtin hätte ich es nicht alleine durchstehen können.

Ich hatte zugenommen. Durch das viele Cortison sah ich schrecklich aufgedunsen aus. Um die Wassereinlagerungen zu kontrollieren, musste ich mich jeden Tag wiegen. Zum Glück wurde es in den nächsten Tagen besser.

 

Das Wiegen sowie die tägliche Blutabnahme und die Einnahme von Cyclosporin A gehörten zum Tagesablauf.

 

Nach ein paar Tagen, hatten die schrecklichen Knochenschmerzen, das Hautbrennen und die ständige Übelkeit deutlich nachgelassen. Die Blutwerte waren besser. Das war natürlich eine super Nachricht!

 

Am Freitag den 03.05.2002 bekam ich den ZVK gezogen und am darauffolgenden Montag, die vorerst letzten Erythrozyten und Thrombozythen Transfusionen. Am nächsten Tag wurde ich nach Hause entlassen und wurde dann jeden zweiten Tag zur Blubildkontrolle und TT -Transfusion erwartet.

 

Es ging mir immer den Umständen entsprechend gut.

 

Andere Menschen, die ich in der Klinik kennenlernen durfte, waren schlimmer dran. Leider sah ich einige nie mehr wieder.

 

Die letzte Transfusion mit Blutplättchen bekam ich erfreulicher Weise am 31.05.2002. Danach mussten die Ärzte und ich auf die Reaktion meines Körpers warten. Eine Zeit des Bangens und Hoffens.

  

Natürlich musste ich immer noch in die Klinik zur Untersuchung. Aber die Abstände wurden immer größer. Von zweimal pro Woche, musste ich nun nur noch einmal, dann alle 14 Tage.

 

Schliesslich durfte ich die Blutabnahmen bei meinem Hausarzt machen lassen und diese dann in die Klinik faxen. Die Blutwerte stiegen, ganz langsam, aber immer weiter an.

 

Aufgrund dieser erfreulichen Entwicklung, suchte ich am 03.09.2002 meinen Arbeitgeber, die Fa. SARSTEDT AG & Co (einer der weltweit größten Hersteller von Verbrauchsmaterialien für Medizin & Wissenschaft) auf. Nach Absprache mit der Betriebsleitung durfte ich sofort wieder in meinem Job einsteigen. Ein schönes Gefühl von der Firma ohne wenn und aber wieder aufgenommen zu werden.

 

Nun, nachdem ich in dieser Zeit noch den Bau des eigenen Hauses und die Trennung von meiner Partnerin verkraften konnte, bin ich froh mal wieder an mich denken zu können und versuche das neue Leben jeden Tag aufs Neue mit all seinen Höhen und Tiefen zu meistern.

 

Eine der Tiefen war z.B. eine Unverträglichkeit von Medikamenten im Jahre 2014. Ich bekam eine dicke Erkältung und hatte aufgrund von Halsschmerzen die Tabletten Dolodobendan Strepsils eingenommen. Ich hatte in der Apotheke extra auf meine Grunderkrankung hingewiesen. Abends habe ich unheimlich starkes Nasenbluten bekommen. Ich wusste mir alleine nicht mehr zu helfen und litt unter Schwindelanfällen. Schließlich fuhr mich die Nachbarin zum Krankenhaus. Dort meinte die Ärztin in der Notaufnahme, dass es keine Medikamentenunverträglichkeit sein dürfe. Aber nachdem ich den Beipackzettel gelesen hatte, las ich dann: „Nicht zu verwenden bei Bluterkrankungen jeglicher Art, Besonders bei Blutgerinnungsproblemen und Anämien.“

 

Während dieser Zeit lernte ich eine Heilpraktikerin kennen, die mir empfahl Vitamin B12 zu nehmen. Dies tat ich und heute geht es meinen Blutwerten sehr gut.

 

Ob ich nochmal die Kraft hätte diese Erkrankung zu überstehen, bleibt fraglich. Bis jetzt geht es mir, ohne auch nur einmal ein Rezidiv erleben zu müssen, großartig. Ich kann in Vollzeit arbeiten und mache auch jede Menge Überstunden sowie auch viel Samstagsarbeit.

 

Deswegen engagiere ich mich seit meiner Erkrankung für die DKMS und seit kurzer Zeit auch für die Stiftung Lichterzellen, um das Glück und die Erfahrungen, welches ich hatte, weitergeben zu können.

 

Ich habe mich in dieser schweren Zeit so oft einsam, hilflos und verlassen gefühlt und möchte den Menschen helfen, die auch so einen schweren Weg vor sich haben.

 

Markus Deryk